Bibelstellen: Kor 2,1-10a / Mt 5,13-19
„Wir schreiben den 2. September 1549. Der Priester, der soeben den Segen von Papst Paul III. (1468-1549) für eine besondere Mission empfangen hat, kniet am Grab des Apostelfürsten Petrus nieder, um dort zu beten. … Die Mission gilt Deutschland, der Missionar heißt Petrus Canisius (1521-1597). … Alles, was dieser päpstlichen Sendung vorausging, ist nur Vorbereitung auf die heikle Mission: Studien in Köln, Eintritt in die junge, aufstrebende Gesellschaft Jesu, Priesterweihe, Promotion zum Doktor der Theologie, Tätigkeit als Berater auf dem Reformkonzil von Trient. … Dieses Projekt ist in der Tat ein gigantisches ‚geistliches Experiment‘: Nicht nur weil Deutschland damals ein viel größeres Gebiet umfasste als heute, sondern weil die katholische Kirche nach der Katastrophe der Reformation sich in einem teilweise desolaten Zustand befand.“ So beschreibt Bertram Meier den persönlichen und gesellschaftlichen Hintergrund des Wirkens und der Sendung von Petrus Canisius. Was hat diesen Missionar geprägt? Was war ihm wichtig? Wie kann er uns heute Leitbild sein? Dazu zwei kleine Gedanken.
Petrus Canisius war geprägt von einer großen Liebe zur Kirche. Sie hat ihn angetrieben. „Obwohl er durchaus mit und an der Kirche und deren Schwächen leiden konnte, meckert er nicht an ihr herum. Selbst bittere Erfahrungen mit der eigenen Gemeinschaft der Jesuiten, in der er als Provinzial Leitungsvollmacht innehatte und merkte, wie menschlich es dort zugehen kann, haben seiner Kirchlichkeit keinen Abbruch getan.“ Mir ist diese Grundhaltung auch deshalb ins Auge gestochen, weil sie nicht selbstverständlich ist. Manchmal könnte man ja wirklich verzagen oder sich frustriert zurückziehen, auch müde werden an dem, wie Kirche wirkt und handelt.
Wir müssen es ganz ehrlich sagen: Menschen, die zur Kirche gehören, Amtsträger, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können auch ausgrenzen und verletzen, Wunden schlagen und beleidigen, die Frohen Botschaft des 1 Evangeliums verstellen, mit ihrem konkreten Leben und Tun der Gnade Gottes im Weg stehen, Menschen abstoßen und vertreiben. Die Kirche ist auch eine ganz menschliche Gesellschaft, mit allen Höhen und Tiefen. Und dennoch: Ich möchte nicht müde werden, von der inneren Kraft der Kirche zu reden, ihre Schönheit zu sehen und zu bestaunen, nach der Kostbarkeit zu „graben“, die Christus in sie hineingelegt hat, und sie immer wieder neu zu entdecken. Und es gibt sie!
Mir helfen die Worte, mit denen Roger Schutz die Communauté de Taizé beschrieben hat: „Wer bist du, kleine, auf verschiedene Orte der Welt verteilte Communauté? Ein Gleichnis einer Gemeinschaft, ein einfacher Widerschein jener einzigartigen Gemeinschaft, die der Leib Christi, seine Kirche, ist, und dadurch auch ein Ferment in der Menschheitsfamilie. Wozu bist du berufen? In unserem gemeinsamen Leben können wir nur vorankommen, wenn wir stets neu das Wunder der Liebe entdecken: im täglichen Verzeihen, im Vertrauen des Herzens, im Blick voll Frieden, den wir auf die Menschen richten, die uns anvertraut sind … Sich vom Wunder der Liebe entfernen, und alles geht verloren, alles verfliegt. … was ist es wohl, das Gott für dich ersehnt? Dass du lebendig wirst, indem du dich der Heiligkeit Christi näherst.“
Wie nun hat Petrus Canisius sein geistliches Experiment angelegt? Welchen Weg hat er gewählt, seine Mission zu erfüllen? „Zwar hat Petrus Canisius kein Patentrezept, das wir einfach kopieren könnten. Aber sein Ansatz ist klar: Er hat die altkirchliche Katechese wieder entdeckt. Da geht es nicht um rein intellektuellinformative Belehrung, sondern um Aneignung: das Hineinwachsen in die aktive Teilnahme am Leben der Kirche.“ Petrus Canisius hat einen neuen Stil gewählt. Er hat mit allen Kräften versucht, eine innere Aneignung, ein Inne-Werden des Evangeliums und des Glaubens anzustiften. Manchmal mit einem sehr bescheidenen Erfolg. Oft genug scheinbar umsonst. Aber er hat Samen gesät, die nach und nach aufgegangen sind. Er hat nicht das Gleiche mit mehr Nachdruck getan. Er hat einen neuen Weg und Stil der Mission gepflogen.
Ich bin überzeugt davon, dass auch die Kirche unserer Tage auf der Suche nach einem neuen Stil ist, nach einem neuen Weg, die innere Kraft der 2 Frohen Botschaft spürbar zu machen und Menschen in einen Glaubensweg einzubinden, der aufbaut und zum Leben stärkt. Vielleicht kann uns der Blick über den Tellerrand der Kirche eine Hilfe sein. Jan Boklöv war ein schwedischer Skispringer und bekannt geworden als Erfinder des V-Stils. Er war lange nur mäßig erfolgreich. Dies änderte sich, nachdem er auf die VSprungtechnik umstellte, die er angeblich infolge eines Absprungfehlers im Training versehentlich erfunden hatte. Er lag oft mehrere Meter vor seinen Konkurrenten, musste aber für seinen Sprungstil erhebliche Abzüge in den Haltungsnoten in Kauf nehmen. Die FIS sah die Ästhetik des Skispringens gefährdet. Aber nach Boklövs Erfolgen stellten dennoch ab 1990 alle Skispringer auf die neue Technik um, und ab 1992 gab es dafür keinen Punktabzug mehr. Nach Untersuchungen am Institut für Medizinische Physik und Biophysik in Graz stellte Toni Innauer als Trainer seine komplette Mannschaft um. Auch etablierte Springer wie Andreas Felder, Ernst Vettori und Heinz Kuttin mussten umlernen. Für die meisten etablierten Springer war die Umstellung auf den V-Stil schwierig.
Die Umstellung auf einen anderen Stil ist schwierig. Und zuerst gibt es einmal Widerstand, Einwände, Punkteabzug. Das Durchhalten in dieser Phase ist nicht leicht. Dazu kommt, dass die Entdeckung eines neuen Stils nicht auf dem Reißbrett geschieht, nicht in professionellen Büros, nicht in der Theorie. Manchmal muss es einfach geschehen, vielleicht überraschend. Es braucht Experimente, und Menschen, die ganz dafür brennen. Ein neuer Stil kann nicht verordnet werden. Er wird sich durchsetzen. Beispiel macht Schule. Ich denke, dass uns Papst Franziskus einen neuen Stil der Mission vor Augen führt, einen neuen Weg für die Kirche in die Zukunft. Petrus Canisius, ein Zeuge des Evangeliums und der inneren Kraft der Kirche. Ein Zeuge, der sich aufgemacht hat, mit einem neuen Stil die Menschen seiner Zeit zu erreichen. Ich möchte euch und auch mich ermutigen, in die Schuhe unseres Diözesanpatrons zu steigen und mit Kraft und Freude den Weg in die Zukunft zu gehen. Brechen wir auf!
Predigt am Fest des Heiligen Petrus Canisius im Dom St. Jakob 2016
von Msgr. Jakob Bürgler